Bibliografische Angaben: svz72
Entfremdung und Annäherung.
Krise und Krisenbewältigung im Zeitalter von Reformation und Bauernkrieg, gespiegelt in
Stationen deutsch-deutscher Diskussionen zur Deutung deutscher Geschichte des 16. Jahrhunderts.
in:
Monika Hagenmaier (Hrsg.) - Sabine Holtzt (Hrsg.)
Krisenbewußtsein und Krisenbewältigung in der Frühen Neuzeit – Crisis in Early Modern Europe.
Festschrift für Hans-Christoph Rublack,
Frankfurt am Main – Berlin – Bonn 1992, S. 331 – 350





Prof. em. Dr. Rainer Wohlfeil



Entfremdung und Annäherung.

Krise und Krisenbewältigung im Zeitalter von Reformation und Bauernkrieg, gespiegelt in
Stationen deutsch-deutscher Diskussionen zur Deutung deutscher Geschichte des 16. Jahrhunderts.

Stationen deutsch-deutscher Diskussionen im Bereich der Geschichtswissenschaft hat 1989 Winfried Schulze dargestellt1. Seine zentrale Fragestellung bedingte eine Beschränkung auf das Wesentliche und läßt die Ent­wicklung seit der Gründung der 'Deutschen Historiker-Gesellschaft' in der DDR nach 1958 mit der Entfrem­dung und nachfolgenden Abschottung seitens der DDR-Geschichtswissenschaft ausklingen2. Daß es aber in den Jahren zwischen den Historikertagen zu Bremen (1953) und Trier (1958) mehr Bereit­schaft gegeben hat, der Entfremdung durch deutsch-deut­sche Historikergespräche zu begegnen, als von Schulze aufgezeigt wird, soll im ersten Teil dieses Beitrages dem Vergessen entrissen werden3; in einem zweiten wird ein Bemü­hen reflektiert, im Vorzeichen der Entfremdung zu einer Annäherung zu gelangen. Es war geprägt von dem Ver­such, auch in Zeiten gesellschaftlichen Widerspruchs im Westen und politi­scher Ab­schot­tung im Osten Deutschlands ge­schichtswissenschaftli­che Diskussionen zu führen. Sie wurden von westdeutscher Seite mit der unverzichtbaren wis­senschaftlichen Grundforderung nach Theorien- und Methodenplu­ra­lismus aufge­nommen, an der als Basis stets unab­ding­bar festgehalten worden ist, auf Seiten der marxistisch-leninistischen Ge­schichts­wis­sen­schaft im Verständnis von der Unvereinbarkeit des dialektisch-historischen Materialismus mit an­deren ge­schichtstheoretischen Ansätzen - ein Sachverhalt, dessen sich westdeutsche Historiker bewußt wa­ren4 . Gemeinsam war die Eingebundenheit der Historiker in die gesell­schaftli­chen Rahmenbedin­gungen ihrer Zeit, und zwar auch dann, wenn sie eine weit zurück­liegende soziale Wirklich­keit auf der Grundlage eines bewußt akzep­tierten oder sie unreflek­tiert bestim­menden theoreti­schen Geschichtsverständnisses zu interpretieren versuchten.

Der Ansatz, den histo­rischen Stellenwert von Reformation und Bau­ernkrieg über einen ge­schichts­theore­tisch im hi­sto­rischen Materialismus verorteten Entwurf in einer Theorie mit Verbindlich­keitscha­rakter neu zu bestim­men, der etwa um 1952 in der damaligen DDR einsetzte, hat mit der These von einer früh­bür­gerlichen Revolu­tion in Deutschland zum "Modellfall einer Forschungskontroverse"5 ge­führt, die nicht 'zu den Akten gelegt' wer­den darf. Sie be­hält ihren Wert sowohl im Sinne eines 'Lehrbeispiels' für For­men ge­schichtswissenschaftli­cher Diskussionen im Spannungsfeld der Kategorie 'Theorien- und Metho­denplura­lismus' als auch im Verständnis eines weiterhin heraus­fordernden Erklä­rungsmodells. Dieses werde - so meine These von 1986/1990 - "weiterhin Gegenstand kritischer Diskussion und von 'Fragen' bleiben, 'die schon lange im Gespräch, aber durchaus nicht erledigt sind'6 - ein ge­schichtswissen­schaftlich legitimer und zugleich all­seitig erkenntnisfördernder Vorgang"7 und eine These, die weiterhin gilt.

I

Anfang Mai 1956 diskutierte in Berlin Hans Kallenbach, Studienleiter an der Evan­geli­schen Akademie in Hessen und Nassau, mit Professor Alfred Meusel, Historiker in Ost-Berlin8, das Projekt der Tagung eines kleinen Kreises von Historikern, Philosophen und Theologen aus beiden deut­schen Staaten in der Akade­mie zu Arnoldshain9. Die Anregung war aus der DDR erfolgt und an Kallen­bach während einer Tagung in seiner Akademie über Dr. John, einen Mitarbeiter des 1952 in Ost-Berlin neu gegründeten Verlages Rüt­ten & Loening, herangetragen worden, der dann das Berliner Gespräch ver­mittelt hatte10. Als Kolloqui­umsstoff hatte Kallenbach 'Die Universitäten des 16. Jahrhunderts' vorge­schla­gen. Dieses Thema dürfte als Ergebnis aus Diskussionen im Kreise um Kallenbach hervorgegangen und von Ludwig Petry, Professor für Geschichte an der Universität Mainz11, zugleich histori­scher Mitarbeiter der Akademie'12, vorgeschla­gen worden sein13, ausgewählt aus seinen Forschungsberei­chen wohl auch im Bestreben, ein kon­fliktträchtiges Problemfeld zu meiden. Als Termin wurde der 17. bis 19. September 1956 vorgesehen - ein Datum im Anschluß an den Ulmer Historikertag. Kallenbach hatte den Eindruck gewonnen, daß man in Ost-Berlin "sehr" an einer "Zusammenkunft" interessiert war, auch wenn sich Meusel - eingestuft von sei­nem Gesprächspartner als "der Chefideologe der mitteldeutschen Histori­ker", allerdings zugleich als ein "sehr vornehmer und väterlich gütiger Mann" - für das ihm "so fern" lie­gende Thema nicht zuständig er­klärte14. Daran wollte er das Projekt je­doch nicht scheitern lassen; er schlug zugleich vor, das Thema auf einen größeren Bereich aus dem deutschen Geistesleben der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts zu erwei­tern. In diesen ließe sich "natürlich" die Uni­versitätsge­schichte integrieren. An das Referat eines westdeut­schen und das Korreferat eines 'mitteldeut­schen' Teil­nehmers sollten sich auf der gesamten Tagung "sonst nur noch Aussprachen" an­schließen. Als Tagungsteil­nehmer aus der DDR wurden neben Meusel u.a. Fritz Klein15 von der Redaktion der 1953 ge­gründeten Zeitschrift für Geschichtswissenschaft (ZfG) und Max Steinmetz benannt; außerdem akzep­tierte Meusel den Wunsch von Kallenbach, daß Dr. Lorenz von der Evangelischen Akademie zu Magde­burg einer Ein­ladung folgen dürfe. Für die Festlegung des endgültigen Tagungsablaufs wurde ein Ge­spräch zwi­schen Meusel oder Klein und Petry in Mainz verabredet. Aus der Sicht von Kallenbach war "man (in Ost-Berlin) zu allen Opfern bereit".

Meusel und Klein reisten nicht, jedoch kündigte Klein schon am 25. Mai als Gesprächspartner für Petry über Fragen der "Historikerzusammenkunft" Horst Bülter an, den stellvertretenden Chefredakteur der ZfG16. Es sollten Vereinbarungen getroffen werden über "Details des Treffens, vor allem jedoch über die genaue Festlegung des Themas". Gewünscht wurde ein - im seitens Meusel angeregten Bereich Gei­stesgeschichte - "weniger spezielles Thema ... als Sie es ursprünglich vorgeschlagen hatten". Petry willigte ein, mußte aber zugleich auf der Grundlage eigener Vorgespräche Bedenken anmelden, ob es " zu einem wirklichen H i s t o r i k e r - Gespräch kommen" werde, weil sich die Wahrnehmung des Termins wegen des vorangehenden Histori­kertages und anderweitiger Verpflichtungen angefragter Kollegen als schwierig er­weise17. Bülter meldete seinen Besuch für den 27./28. Juni an18; auf der Grundlage dieses Gespräches19 intensivierte Petry seine Vor­bereitungen20 und konnte am 13. August mitteilen, daß diese seinerseits abge­schlossen seien. Als teilnehmende Historiker benannte er Paul Kirn, Walther Hubatsch, Lutz Hatzfeld, Rainer Wohlfeil und Barthold Witte sowie vom Institut für Europäische Geschichte in Mainz Peter Manns mit zwei Stipendiaten und zwei bis drei weitere Teilnehmer aus dem Bereich von Theologie bzw. Philo­sophie21. Petry selbst wollte das Referat über "Die deutsche Universität des 16. Jahrhunderts in ihren na­tionalen, kulturellen und sozialen Bezügen" halten, das Korreferat über das aus Berlin vorgeschlagene Problem des Humanismus sollte von einem Historiker aus der DDR vorgetragen werden. Zwar klangen bereits Bedenken an, ob seitens der DDR "der Gedanke an die Tagung ... noch aufrechterhalten wird", aber mit der Akademie wurden bereits die Fragen des technischen Ablaufs diskutiert22. Daß seine Beden­ken nicht unbegründet waren, offenbarte kurz danach die Absage aus der DDR. Begründet wurde sie von Klein in Absprache mit Meusel dahingehend, daß sich keine Wissenschaft­ler gefunden hätten, "die speziell auf diesem Gebiet der Geschichte zu Hause sind und mit Nutzen an der fachlichen Debatte sich beteiligen können"23. Den Plan jetzt aufzugeben bedeute "selbstverständlich nicht..., daß man ein ähnliches Projekt zu einem günstigeren Zeitpunkt nicht doch noch realisieren kann". Damit war ein Gespräch abge­brochen, das stets in äußerlich sehr korrekten, zugleich aber beiderseits auf Distanz bedachten Formen abgelaufen war und sich äußerlich jedweden politischen Bezugsrahmens enthalten hatte.

Daß sich auch in der Bundesrepublik Schwierigkeiten bei der Vorbereitung eingestellt hatten, deutete Pe­try bereits in seiner Antwort an Klein an. Dem Berliner Gespräch war ein Gedankenaustausch vorange­gangen, in den auch Hermann Aubin als Vorsitzender des Verbandes der Historiker Deutschlands einbe­zogen worden war24. Während die Arnoldshainer Akademie die finanziellen Voraussetzungen bereitstel­len konnte und sei­tens des Kirchenpräsidenten Martin Niemöller sein Interesse an einer eventuellen Teil­nahme bekundet wor­den war25, gingen erste Einwände gegen dieses "West-Ost-Gespräch" ein. Hellmuth Rößler lehnte seine Teil­nahme nicht nur wegen einer seit langem geplanten Studienreise ins Ausland ab, sondern erhob offen "Bedenken " gegen ein Treffen "mit den sowjetzonalen Historikern"26. In dem be­nannten Kreis vermisse er "alle wirklich bedeutenderen Persönlichkeiten", wie etwa die Kollegen Hellmut Kretzschmar, Willy Flach, Heinrich Sproemberg, Hans Haußherr und Kurt Aland. Auch schien ihm das vorgeschlagene Thema das Zu­sammentreffen kaum zu lohnen, "fruchtbar" könne dagegen "ein Gespräch etwa über die Bedeutung Preußens oder der wettinischen Lande für Deutschland" sein, denn dabei kämen "die uns interessierenden Probleme der Einordnung beider Ländergruppen in das neue westdeutsche Ge­schichtsbild wie in das des Diamat zur Dis­kussion". Zugleich sprach er jedoch auch von der ihm "sehr sympathischen Absicht, eine engere Verbindung zwischen west- und ostdeutschen Historikern" zu unter­stützen. Günther Franz, der sich selbst kaum in der Lage sah teilzunehmen, bejahte, daß auch "katholische Experten fürs 16. Jahrhundert" herangezogen werden sollten, berichtete aber zugleich von ei­nem Besuch in Leipzig, bei dessen Gelegenheit ihm Sproemberg, Flach und Kretzschmar angeraten hätten, gegenüber "Meusels Angebot ... möglichste Zurückhaltung" an den Tag zu legen27. Außerdem regte Franz an, den Gesprächsbereich auf die Reformationsgeschichte auszuweiten. Die Veranstalter waren bereit, das "Wagnis eines Wormser Religionsgesprächs à la 1557" in Kauf zu nehmen28. Viele Namen wurden erwo­gen, u.a. Hubert Jedin und Joseph Lortz oder als Spezialist für Fragen der Mar­xismus-Forschung Iring Fetscher.

Des politischen Risikos waren sich Petry und Kallenbach bewußt in der Annahme dessen, daß "die Partner von drüben" an "einem solchen Gespräch vorwiegend taktisch interessiert" seien, aber sie blieben bereit, "auf diesen Versuch einzugehen"29. Petry hatte in seinem Gespräch gegenüber Bülter als "unabdingbare Voraus­setzung für die Aufrechterhaltung und Durchführung des Plans ... bezeichnet, daß weder auf dem Evang. Kir­chentag in Frankfurt noch auf dem Ulmer Historikertag es zu einer 'Panne' kommt"30. Dieser Vorbehalt bot die Möglichkeit, die Veranstaltung gegebenenfalls absagen zu können. Rein negativ zu rea­gie­ren, hätte sich als man­gelndes Selbstvertrauen deuten lassen, dagegen komme "vom Boden einer Aka­demie her der gewiß begrenzten Chance, eine Gegenfront abzutasten und ein wenig aufzulockern, doch hinrei­chend Gewicht zu, um das Risiko taktischer Ausschlachtung und nachträglicher Verdrehung auf sich zu nehmen"31. Seitens des Verbandes der Historiker Deutschlands interessierte sich Aubin für die "Verabredungen mit den SED-Männern", betonte aber ausdrücklich, daß er "die Begegnung mit den amt­lichen Vertretern der SBZ nicht aus mangelndem Selbstver­trauen, sondern wegen ihrer Doppelzüngigkeit für eine fragliche Unternehmung halte"32.

Am 29. Juli erging die Mehrzahl der Einladungen33. Hubatsch sagte zu, da das Gespräch ihn auch deshalb in­teressiere, weil er in den zurückliegenden Jahren mit Halle, Merseburg, Weimar und Potsdam "einen re­gen wissenschaftlichen Kontakt gehabt habe"34. Kirn wollte Petry "nicht ganz im Stich lassen", obgleich er wenig erwarte, aber es sich vielleicht lohne, "unsere Bereitwilligkeit zu demonstrieren". Allerdings habe er den Mar­xismus "nie eigentlich ernst genommen und ein zweisemestriges Kolleg über die Geschichte der politischen Theorien nur so weit geführt, daß ich nicht mehr auf ihn einzugehen brauchte"35. Richard Nürnberger sah einer Begegnung mit Skepsis entgegen, doch sollte sie nicht ohne weiteres abgelehnt wer­den, selbst aber war er nicht bereit teilzunehmen36. Erich Hassinger erklärte sich für zeitlich nicht in der Lage37. Ernst Walter Zee­den erachtete das Thema noch "für am ehesten geeignet", war aber einer Ent­scheidung "nolens volens" durch seine zahlreichen Verpflichtungen enthoben38.

Eine besonders ausführliche "Orientierung" erging an Gerhard Ritter39. Ausdrücklich betonte Petry, daß die Arnoldshainer Akademie "ein Historikergespräch West-Ost" nicht "eigens betrieben" habe, sie nach Klärung der Vorfragen aber "für eine mögliche Plattform eines solchen Gespräches" erachte, "das man von westdeut­scher Seite nicht einfach ablehnen oder ausgesprochen vertagen sollte". Der Kern der Argumenta­tion lautete: "Ohne seine Erfolgsaussichten zu überschätzen, darf man neben der Ueberprüfung und Klä­rung der einzel­nen Standpunkte dem Gang der Aussprache in kleinerem Kreise vielleicht doch auch eine gewisse Auflocke­rung der ideologischen Gegenfront gerade bei der jüngeren Generation zutrauen und von da einen positiven Anstoß, auf den Vorschlag einzugehen, gegeben sehen ... Persönlich mache ich (=Petry) mir über den Erfolg des Vorhabens keine großen Illusionen und bin auf eine taktische Auswer­tung in unerwünschtem Sinne durch­aus gefaßt - andererseits sehe ich nach den geschilderten Zusammen­hängen und der augenblicklichen Lage keinen zwingenden Anlaß, den Ball lediglich negativ zurückzuge­ben, sondern empfände das als zu bequem und voreilig." Ritter wurde nicht nur um Rat und ein Gespräch gebeten, sondern auch gefragt, ob er eingeladen werden dürfe.

Ritters grundsätzliche Haltung in der Frage des Verhaltens gegenüber den Historikern in der DDR ist zuletzt von Schulze dargestellt worden40. Seine ablehnende Antwort41 gegenüber Petry ist ein Dokument, das von Schwabe/Reichardt nicht in ihre o. a. Edition aufgenommen worden ist, seiner Aussagen zum Zeitgeist halber und wegen des vorgegebenen Sachzusammenhangs jedoch nicht nur durch Paraphrase, sondern in ausführliche­rem Zitat wiedergegeben werden soll:



"(...) Herr Meusel ist in meinen Augen kein Wissenschaftler, sondern ein reiner Propagandist der kommunistischen Partei, und hat z.B. hier in Freiburg kürzlich auch eine Besprechung organisiert, die als 'Begegnung' ost- und westdeutscher Geister aufgezogen war, aber natürlich eine reine Propagandaveranstaltung darstellte. Ich bin ihr ferngeblieben. Die Rolle, die er in Rom spielte, war kläglich, ja unwürdig. In Bremen gab er sich wer weiß wie freundschaftlich mit dem Ergebnis, daß nachher die sogen. Zeitschrift für Geschichtswissenschaft eine reine politische Umdeutung und Verdammung des ganzen Bremer Historikertages brachte. Mein eigenes Schrifttum wird in dieser Zeitschrift, die nur als politische Pamphletliteratur bezeichnet werden kann, auf das gemeinste heruntergerissen. Man versucht mich dort als 'Barden des Militarismus und Kapitalismus' anzuschwärzen. Mit Wissenschaft hat das alles nicht das geringste zu tun. Auf dem Gebiet des 16. Jahrhunderts ist Meusel vollständig unwissend, und eine Arbeit von ihm über den Bauernkrieg wurde sogar in der genannten Zeitschrift als dilettantisches Fehlprodukt abgefertigt und in der HZ als Plagiat entlarvt. Leuten dieser Art erweise ich nicht die Ehre, sie als 'Kollegen und Wissenschaftler' zu betrachten.
Ich bedauere aufrichtig, daß nun auch die Evang. Akademien sich indirekt dieser Propaganda zur Verfügung stellen. Ein echtes 'Gespräch' kann ich nur mit Leuten führen, die ich menschlich, politisch und wissenschaftlich ernst nehme und irgendwie achte. Das ist in diesem Fall unmöglich. Ich habe auch mit nationalsozialistischen Fanatikern niemals 'Gespräche' versucht, weil die doch nur zu praktischen Kompromissen geführt hätten. Die evangelische Kirche kann ja Gottlob in der Sowjetzone noch arbeiten, weil sie einen sehr großen Volksteil hinter sich hat. Sie muß und kann sich daraufhin mit der Kommunistischen Regierung irgendwie abfinden. Was aber die von Karl Barth abhängigen westdeutschen Theologen und Kirchenmänner an Illusionen pflegen über die 'Möglichkeit eines Gesprächs' und eines Ausgleichs mit den deutschen Kommunisten, halte ich >einfach für gefährlich und verwirrend. Den Herren Hassinger und Zeeden kann ich meinerseits nicht zuraten, wenn sie mich fragen sollten, sich an solchen Unternehmungen zu beteiligen.(...)" 42

Diese Stellungnahme hat Schwabe dahingehend interpretiert, daß sich Ritter von derartigen Kontakten "überhaupt nichts" erhoffte, "sehr im Gegensatz zu Vermittlungsbemühungen einiger Wortführer der evan­gelischen Kirche"43, vielmehr "die Konzessionsbereitschaft dieser Kirchenvertreter gegenüber der DDR als ein Element" bewertete, "das in der Bundesrepublik nur desintegrierend wirken könne"44. Daß Schwabe den Kern des Sachverhalts - ein von Ritter schroff verworfenes Gespräch mit Vertretern der DDR-Geschichtswissenschaft - offenbar nicht zutreffend erkannt hat, erscheint hier unwichtig, und nur als Rander­kenntnis sei darauf verwiesen, daß die wissenschaftliche Zusammenarbeit zwischen Ange­höri­gen der verschie­denen Konfessionen noch nicht als selbstverständlich behandelt wurde. Auch ist das Ge­spräch nicht an seiner negativen Vorverurteilung durch Ritter gescheitert, sondern wurde ebenso aus Ost-Berlin abge­sagt, wie es von dort angeregt wor­den war.

Daß die Initiative von Meusel ausgegangen ist, zumal er in seiner Eigenschaft als einer der Präsidenten der 'Deutschen Begegnung' ein Mann war, der sich "unermüdlich für das Gespräch und die Annäherung zwi­schen den aufgeschlossenen Intellektuellen beider deutscher Staaten" eingesetzt habe, kann mit großer Si­cherheit angenommen werden45. Die Anregung dürfte aus seinem Wirken in jenem Rahmen, auf den sich wohl auch Ritters Bemerkung über ein Treffen in Freiburg bezogen hatte, hervorgegangen sein. Sie fiel außerdem in die Wochen nach dem XX. Parteitag der KPdSU (Februar 1956), der in der DDR Hoffnun­gen auf Lockerungen aufkeimen ließ. Welche Motive und Ursachen zur Absage geführt haben, läßt sich dagegen einstweilen nicht exakt ermitteln; mit hoher Wahr­scheinlichkeit hat es sich um eine politische Ent­scheidung gehandelt, gefällt wohl in der Abteilung Wissen­schaften des ZK der SED und bedingt in der politischen Enwicklung des Sommers 1956, die von der Staats- und Parteiführung mit Mißtrauen und Furcht gesehen wurde46. Ausschlaggebend war demnach keinesfalls die damalige Be­grün­dung, daß für Fragen der Uni­versitätsgeschichte und für die Geschichte des Humanismus kein ge­eigneter Wis­sen­schaftler zur Verfügung gestanden habe. Daß sich keine Referen­ten stellen ließen, kann sich nicht erst nach dem Gespräch Petry-Bülter herausgestellt haben, zumal sie wohl hätten gewonnen werden können. Be­reits 1952 war in der DDR der 450-Jahrfeier der Universität Halle-Witten­berg mit einer Festschrift gedacht worden47. 1956 wurde als ein Diskussionsteilnehmer Max Steinmetz benannt48. Er habilitierte sich 1957 in Jena mit einer Unter­suchung über das Müntzerbild49, die ihn mit dem Humanismus kon­frontiert hatte, trat 1958 als Leiter des Mitarbeiter­kollektivs für die Ge­schichte der Universität Jena hervor50 und hat sich auch weiterhin mit beiden Fra­genbereichen intensiver beschäftigt. Steinmetz, Verfasser jener Rezen­sion, die Ritter ange­sprochen hatte51, trug außerdem auf der Wernigeroder Kon­ferenz von 1960 die erste Fassung der Thesen von einer frühbürgerlichen Revolution in Deutschland vor52. Das Interpretati­ons­mu­ster stand seit etwa 1952 als Hypothese in der internen Dis­kus­sion53, jedoch war diese keinesfalls so weit vorangeschritten, daß das Er­klärungsmodell bereits als Grund­lage in die "Ausein­ander­setzungen zwischen der marxistischen und der bürgerlich-imperialistischen Histo­riographie" um ein "Kernstück" deutscher Ge­schichte54 eingebracht wer­den konnte. Streitgespräche aber waren im marxistisch-leninistischen Ver­ständnis von der Ge­schichtswissenschaft55 mit ihrer Verpflichtung auf das Prinzip der Parteilichkeit und mit ihren praxisbe­zo­genen politischen Auf­gaben, wie der "Geschichtspropaganda", als zentralen Katego­rien sicherlich ein Hauptmotiv für das ange­regte Historiker­gespräch; es zeigte sich in dem beson­ders nach­drücklich vorgetra­genen Interesse an 'Aus­sprachen'. Des­sen waren sich Petry und Kallenbach offenbar bewußt, den­noch sind sie bereit gewesen, die Diskus­sion anzunehmen. In Ost-Berlin jedoch wurde das Fallenlassen der eigenen Anregung vielleicht auch begrüßt, weil das Instrumentarium für ein Streitge­spräch über die historische Erklärung und Deutung ei­nes zen­tralen Abschnitts deutscher Geschichte des 16. Jahrhundert noch nicht ausreichend geschärft er­scheinen konnte.

II

"Obwohl sich die historische Forschung inzwischen national und international vielfach anderen Themen als den Revolutionen zugewandt hat, bleibt das Modell auf dem Prüfstand", meinte im April 1990 auch Sieg­fried Hoyer56, Verfasser einer der letzten theoretisch-systematisch orientierten Darlegungen der These57. Zugleich räumte er ein, "weithin gab und gibt es Einwände gegen die 'frühbürgerliche Revolution', und es gehört zu den Schwächen unserer Kooperation nach dem Osten, daß Meinungsverschiedenheiten auch mit den dorti­gen Kollegen nie ausdiskutiert wurden. Fast besteht die Gefahr, daß wir etwas DDR-Spezifisches geboren haben - so etwa wie unser Zwickauer Automobilhersteller den Trabant."58 Über diese selbstkriti­sche Äußerung hinaus sollte aber auch darauf verwiesen werden, daß die marxistisch-leninistische Deu­tung von Reformation und Bauernkrieg durch die ehemalige DDR-Geschichtswissenschaft keinesfalls als "die im Rahmen des historisch-materialistischen Denkens einzig mögliche zu halten" ist, wie Alex Witten­dorff nachdrücklich betont und mit seinem Versuch einer anderen historisch-materialistisch und dialekti­schen Deutung aufgewiesen hat 59.

Knapp auf den Begriff gebracht bedeutet der Terminus 'deutsche frühbürgerliche Revolution' im Ver­ständnis von marxistischen Historikern aus der ehemaligen DDR weder eine Arbeitshypothese noch eine These, son­dern die historisch-theoretisch fundierte be­griffliche Fas­sung eines - in den universalgeschichtli­chen Kontext des Übergangs von der Gesellschafts­formation 'Feudalismus' zur Gesell­schaftsformation 'Kapita­lismus' eingeordneten - be­schleunigten, revolutionären Klassenkampfes in Deutsch­land mit sy­stemsprengender Tendenz von grund­sätzlich bürgerlicher, wenn auch unreifer Qualität. Als Komponen­ten dieser ersten bürgerlichen Revolu­tion gelten die Reformation und der Bauernkrieg als sich wesensmä­ßig wechselseitig bedingende verschie­dene Entwicklungsstufen einer Einheit von unauflösbarem inneren Zu­sammenhang60.

Die Spannweite der geschichtswissenschaftlichen Bewertung dieses Deutungsmusters reicht von der Aus­sage, die These "liegt unterhalb der Grenze, an der noch eine wissenschaftliche Diskussion möglich ist"61 bis zu Steinmetz' Behauptung von 1985, daß die als Hypothese formulierte, inzwischen angereicherte und differen­zierte Konzeption als eine "trotz vieler noch offener Probleme weitgehend erhärtete Theorie" zu gelten habe62. Ihre kritische Vorstellung und geschichtswissenschaftliche Diskussion begann in der Bun­desrepublik erstmals mit Thomas Nipperdey63, nachdrücklich gefordert wurde sie 1971 von Rainer Wohl­feil64, mit der Anregung zum Dialog aufgenommen in seinem ersten Textband65 von 1972, fortgesetzt 1975 in ei­nem zweiten66. Hierfür waren besonders zwei Gründe maßgebend: Einerseits gebot die Basis geschichtswissenschaftlicher Arbeit, der Theorien- und Methodenpluralismus, das neue Erklärungsmodell zu 'überprüfen', andererseits gehörte es zur Lehrerfahrung um 1970, daß sich Studenten mit derartigen Thesen befaßten und sie über Lehrbücher aus der DDR teilweise unkritisch, teilweise auch politisch mo­tiviert rezeptierten, ohne daß diesem Sachverhalt in aka­demischer Lehre und Forschung eine kritische Auseinandersetzung entgegengestellt wurde. - Die Möglich­keit, vor allem im ersten Sammelband, ihre geschichtstheoretisch verorteten Positionen in der Bundesrepublik bekannt werden zu lassen, ist von den Historikern der DDR bereitwillig aufgegriffen worden, intensiv geför­dert durch Steinmetz67. Daß es möglich wurde, geschah nach Hoyer68 "sicher nicht zufällig ... auf dem histo­risch bedeutenden Feld des Übergangs zur Neuzeit in der deutschen Geschichte, aber auch zu einem Zeit­raum, da man 'trefflich streiten' konnte ohne sofort mit dem ge­schichtlichen Selbstverständnis der DDR - und denen, die dazu be­rufen waren, es zu behüten - in Kon­flikte zu geraten!"

Zunächst wiesen die Positionen in Ost und West wenig Gemeinsamkeiten auf, so daß sich kaum ein An­satz­punkt zur Diskussion bot69. Zwar setzte ein reger Schriftenaustausch ein70, aber erst die nach teil­weise offenbar erheb­lichen Schwierigkeiten auf Seiten der DDR-Historiker71 zustandegekommenen Zu­sammentreffen auf den Bauer­kriegsgedenktagungen von 1975 in Leipzig72 und Memmingen73 sowie 1976 in Innsbruck-Vill74 und eine Kon­ferenz 1977 zu Leipzig75 schufen die Kontakte, die Gespräche ermöglich­ten76. Für ihre Genehmigung seitens Institutionen der DDR war hierbei von entscheidender politischer Bedeutung, daß es sich nicht um ausschließlich deutsch-deutsche Begegnungen handelte, sondern daß an den Tagungen ein internationaler Kreis von Historikern beteiligt war, besonders auch in Memmingen und Innsbruck-Vill77. Hoyer reflektierte 1990 die Bedeutung von 1975 in der Formulierung: "Ich weiß nicht, ob wir im Gebiet der Geschichtswis­senschaft insge­samt oder gar in dem der ganzen Geisteswissenschaften die ersten waren, ich weiß nur, daß andere sich bald bemüh­ten, diesem Beispiel nachzufolgen, obwohl die Bedingungen dafür weiter bürokra­tisch und im Grunde re­striktiv blieben."78 Ihre Grenzen fanden diese Begegnungen beispielsweise dann, wenn gegenseitige Gast­vorträge vorge­schlagen wurden und Steinmetz, als Prot­agonist der These zu ihrer Diskus­sion 1973 erstmals bzw. er­neut 1975 eingeladen, der Einladung nicht folgen konnte79 oder wenn es offensicht­lich für opportun erachtet wurde, von einer Veröffentlichung keinen Sonderdruck zu schicken80. Einer Vortragseinladung nicht folgen zu kön­nen, begründete Steinmetz 1973 mit dem "Fehlen konkreter Abma­chungen über wissenschaftliche Zu­sam­menarbeit"81 - eine Voraus­set­zung, die zur gleichen Zeit nicht im Falle eines Hamburger Gastvortrages von Jürgen Kuczynski gegol­ten hatte82.

Glichen 1975 und auch in den nachfolgenden Jahren die wenigen westdeutschen Historiker auf nationalen und internationalen Kongressen in der DDR ersten Schwalben, die noch keinen Frühling mach­ten, hatte sich - dem äußeren Eindruck nach - das Bild auf den Konferenzen zur Erinnerung an Martin Luther von 1983 und an Thomas Müntzer von 1989, jeweils zu Halle83, so verän­dert, als ob derartige Begegnungen und eine spürbare Auflockerung zur Normalität gehörten. Daß internationale Normalität jedoch noch nicht herrschte, erwies sich darin, daß auf den Tagungen die zentralen Vorträge und die Sektionsleitungen stets von DDR-Wissen­schaft­lern wahrgenommen wurden. Auch sind westdeutsche Angebote zur Zusammenar­beit in gemeinsamen For­schungsfeldern nicht aufgegriffen worden. Unbeschadet dessen bahnten sich im Bereich der Historiker, die sich mit dem 16. Jahrhundert beschäftigten, infolge der Begegnungen frühzeitig persönliche Beziehungen an, die gegenseitiges Vertrauen aufkeimen ließen84.

Über den Interpretationsrahmen von einer 'deutschen frühbürgerli­chen Revolution' wurde etwa seit dem Lu­ther-Jahr nicht mehr explizit diskutiert, auch erschienen nach 1983 "weder in der DDR noch von Kri­tikern neue substantielle Beiträge"85. Historiker in der DDR86 und vereinzelte Autoren in der Bundesre­publik87 gin­gen von dem Deutungsmuster als einer selbstverständlichen Grundlage aus, in der DDR be­gannen sich jedoch auch die kriti­schen Stimmen stärker zu artikulieren, vor allem von Seiten des Kirchen­histori­kers Karlheinz Blaschke und der Leipziger Theologen.

Eine theoriebezogene Diskussion hatte sich zunächst systemimmanent im Kreise der marxistischen Histo­riker ab­gespielt. Die Entfaltung der These in ihren Widersprüchen, Brüchen und Wandlungen nach­zuzeichnen, er­scheint hier nicht notwendig, zumal sie 1986/1990 noch einmal umrissen worden ist88. Letztendlich ist der in­terne Streit nicht ausgetragen, sondern gewissermaßen vertagt worden, ohne daß der Kern des Deu­tungsmu­sters selbst irgendwie zur Disposition gestellt wurde. Zugleich ist aber festzuhalten, daß sich im Konzept des Erklärungsmodells beachtenswerte Veränderungen ergeben haben, so daß jed­wede weitere Diskussion von dessen Stand um 1982/1986 ausgehen sollte89. Sie müßte außerdem zumin­dest zur Kenntnis nehmen, daß in der übergeordneten, geschichtstheoretisch der Lehre von den Gesell­schaftsfor­mationen zuzurechnenden vergleichenden Revolutionsgeschichte innerhalb der Forma­tion 'Kapitalismus' während der letzten Phase dia­lektisch-materialistischer Geschichtsbetrachtung in der DDR eine verän­derte Verortung der frühbürgerlichen Revolution zur Diskussion gestellt worden ist: Ausgehend von dem durch Ernst Werner in seiner Beschäfti­gung mit der Hussitenbewegung geprägten Begriff "Revolution im Feudalismus für den Feudalismus" wurde gefragt, ob und in wie weit dieser sich auch auf Reformation und Bauernkrieg anwenden lasse90.

Die systemimmanenten Erörterungen wurden Interessenten in der DDR im Textband von Steinmetz ge­bündelt zur Kenntnis gebracht, jedoch erfuhr hier der Leser kaum etwas über andere Interpretationsan­sätze und über die kritische Auseinandersetzung sei­tens westdeutscher Historiker mit dem DDR-verbindli­chen Deutungsmo­dell; höchstens aus vereinzelten Fußnoten wurden diese erkennbar. In der 'Einleitung' wurde zwar ein "Streitgespräch" erwähnt, jedoch nichts über den Gehalt der Auseinandersetzungen und des 'substantiellen Meinungstreits' ausgeführt91. Auf Binnenwirkung mit Abschottungseffekt ausgerichtet, erfuhr der Benutzer zwar, daß For­schungsergebnisse der eigenen Geschichtswissenschaft von bürgerlichen Historikern rezipiert und sogar der marxistische Ansatz "partiell" genutzt worden war92 - 1978 hatten Ger­hard Brendler und Manfred Meyer von der marxistischen Konzeption als "Ferment für die eigene historio­graphische Entwicklung" in West­deutschland gesprochen93 - aber mit keinem Wort vernahm er etwas darüber, ob und in welcher Weise sich das Streitgespräch auf die eigenen Überlegungen ausgewirkt hatte. Daß die kritischen Fragen und Reflexionen westdeutscher Historiker zum Überdenken eigener Aussagen Anlaß gegeben haben, dürfte aber unbestritten sein.

Zwischen der Geschichtswissenschaft in der Bundesrepublik und in der DDR wurde die kritische Ausein­ander­setzung auf zwei Ebenen geführt. Einerseits wurden die Verfechter der These von einer frühen bür­gerlichen Revolution theorieentbunden anhand des Quellenbefunds nach empirischen Belegen für ihre Aussagen be­fragt, andererseits deren Gültigkeit auch im Bereich der ausgewiesenen historisch-materialisti­schen Kategorien bestritten. Im ersten Bereich wurde und bleibt "die Beweispflicht des Bürgerlichen"94 die zentrale Leitfrage95, weitere - wie das Problem einer gesamtgesellschaftlichen Krise vor 1517 - lassen sich der Literatur entnehmen96. Beiderseitig wurden zugleich ein­schlägige Studien befruchtet, schon 1975 analysierte Rainer S. Elkar "wachsende Parallelität in der Er­forschung des Faktenmaterials"97, gleiche Er­gebnisse in der Untersuchung von Sachverhalten wurden in zunehmendem Maße erzielt, jedoch durften sich die Historiker in der DDR nicht dem Verdacht der Kon­vergenz, insbesondere der ideologischen, aus­setzen98. - Auf der zweiten Ebene stehen nicht nur die sy­stemimmanenten Probleme, die Steinmetz 1985 anführte99, sondern bleibt generell die Frage offen, ob es sich bei Reformation und Bauernkrieg - unbe­schadet ihrer engen Verbindung - um einen histori­schen Pro­zeß von der Qualität gehandelt hat, der sich als eine Revolution im Verständnis von Karl Marx als "Lokomotiven der Geschichte"100 bewerten läßt. Eng damit hängt aber zusammen, daß der­ar­tige Probleme auch generelle Fragen an den historischen Ma­terialismus einschließen. Hier reagierten die Verfechter der These in einer Weise, die keine Diskussionsbe­reitschaft erkennen ließ. Steinmetz sah in den sog. bürgerli­chen Konzep­tionen und Forschungsstrategien nur Versuche, "die den Marxismus-Leninismus aus den An­geln heben" sollten, die sich "als bloße Bestrei­tung der zentralen Kategorien des historischen Materialismus, nicht aber als Darlegung neuer tragfähiger Prinzipien" erweisen; Fragen an die Verwend­barkeit von Be­griffen wie Klasse, Klassen­kampf, Klassenge­sellschaft zur Analyse und historischen Erklä­rung der sozialen Wirklichkeit von Reformation und Bauern­krieg und an die Lehre von der Gesetzmäßig­keit des Verlaufs der Geschichte mit entsprechender Abfolge der Gesellschaftsformationen wurden als "nicht gerade neu" abgewiesen und nachdrücklich die Forde­rung nach Methodenpluralismus verworfen, abschätzig von einer "eklektischen Methodologie" ge­sprochen101.

Historische Methode im weiten Begriffs­verständnis102 kann grundsätzlich und konnte von vornherein Fra­gestel­lungen der dialektisch-materialisti­schen Methode als eine geschichtswissen­schaftliche Verfah­rens­weise heranziehen, jedoch n i c h t den alleinigen Erklärungs- und 'Wahrheits'-An­spruch des histori­schen Materia­lismus als Geschichtstheorie ak­zeptieren103. Auch die DDR-Geschichtswis­senschaft hat sich unter dem Zwang zur Grundlagenforschung im empirischen Bereich mittels sozialge­schichtlicher Analysen usw. in ih­rer letzten Phase vorsichtig neueren Zugriffsmöglichkeiten der hi­storischen Methode ge­öffnet, ver­harrte jedoch in der Abweisung sog. antimarxistischer Konzeptionen - etwa der sozialge­schichtli­chen104: "Sozialgeschichtsforschung, sozialge­schichtliche Methode erhielten den Anstrich eines tro­janischen Pferdes, da sie angeblich darauf anlegten, das marxistische Geschichtsbild in besonders raffinier­ter Weise zu unterlaufen und dann aus den Angeln zu heben".105 Zunächst wurden sie sogar als nicht ein­mal einer Diskussion wert disqualifiziert106. Unver­einbarkeit des eigenen geschichtstheo­retischen An­satzes mit al­len anderen war ein Theorem, das nicht zur Disposition stand, bedingt auch in den Vorgaben, die einer poli­tisch instrumentalisierten Geschichtswissenschaft durch die ideologisch-politischen Hüter des Marxis­mus-Leninismus auferlegt waren. Dieser Zwang ist entfallen, das Wissenschaftsverständnis ist auch in Ost­deutschland zu einer Entscheidung jedes einzelnen geworden107. Daraus folgert, daß sich Historiker aus der ehemaligen DDR nunmehr nicht nur einer Methodenvielfalt weiter und folgerichtig öffnen, sondern sie auch uneingeschränkt als Grundlage wissen­schaftlicher Arbeit akzeptieren können, darüber hinaus sich aber zum Theorienpluralismus bekennen und damit kritischen Fragen an die Geschichtstheorie des histo­rischen Materialismus stellen sollten. In derartiger Offenheit gegenüber bisher auch selbst eingenomme­nen Positionen sollte die Diskussion der These von einer frühen bürgerlichen Revolution in Deutschland weitergeführt werden. Sie muß davon ausgehen, daß eine marxistische Geschichtsbetrachtung ohne dog­matische Verkrustung ein Ansatz bleibt, der im Verständnis von Methoden- und Theorienpluralismus einen uneingeschränkten Platz in der deutschen Geschichtswissenschaft beanspruchen darf - denn so wie Pluralismus zu den selbstverständlichen Voraussetzungen und Bedingungen einer demokratischen Gesell­schaft zählt, ist eine Grundlage des ihr entsprechenden Wissenschaftsverständnis­ses der Theorien- und Methodenpluralismus.






1 Winfried Schulze, Deutsche Geschichtswissenschaft nach 1945, München 1989 (erschienen auch als Beiheft 10 der Historischen Zeitschrift), S. 183-200.

2 Aus der Sicht von Historikern der ehemaligen DDR hat Siegfried Hoyer diese Entfremdung am 6. April 1990 (s.u.Anm. 56, hier MS Blatt 9) in folgender Formulierung reflektiert: "Die Abschottung bei uns seit dem Ende der fünziger Jahre, da gemeinsame Unternehmen der deutschen Historiker von Ost und West allmählich zu Ende gingen, schließlich der Bruch 1961 verstärkten einerseits unsere Kontakte nach den östlichen Ländern Europas, was durchaus förderlich und wichtig war; sie initiierten aber auch eine Selbst­bespiegelung, die man in keinem Fall gut heißen kann."

3 Die Materialien, für deren Auswertungsrecht ich mich hier noch einmal ausdrücklich bedanke, wurden mir bereits 1972 aus der Korrespondenz von Ludwig Petry zur Verfügung gestellt. Für anderweitige Hilfe danke ich Rainer Brüning, Ilse Deike, Siegfried Hoyer, Brigitte Tolkemitt und Günter Vogler. Der unter I rekonstruierte Vorgang wird m. K. nach nur von Klaus Schwabe, Zur Einführung: Gerhard Ritter - Werk und Person, in: Gerhard Ritter. Ein politischer Historiker in seinen Briefen, hg. von Klaus Schwabe und Rolf Reichardt, Boppard am Rhein 1984 (Schriften des Bundesarchivs 33), S. 116, deutend angesprochen, ganz knapp eingeordnet in einen nicht voll zutreffenden Zusammenhang; dazu s. meine Ausführungen weiter unten.

4 Vgl. z. B. Rainer Wohlfeil, Einleitung, in: Der Bauernkrieg 1524-26. Bauernkrieg und Reformation. Neun Beiträge, hg. von Rainer Wohlfeil, München 1975 (ntw. nymphenburger texte zur wissenschaft. mo­delluniversität 21), S. 22ff.; so auch Rainer S. Elkar, Geschichtsforschung der Frühen Neuzeit zwischen Divergenz und Parallelität, in: Bauernkrieg 1524-26, S. 237.

5 So die Formulierung von Winfried Schulze, 'Reformation oder frühbürgerliche Revolution?' Überle- gungen zum Modellfall einer Forschungskontroverse, in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ost­deutschlands, Bd. 22 (1973), S. 253-269.

6 Günter Vogler, Reformation als 'frühbürgerliche Revolution'. Eine Konzeption im Meinungsstreit, in: Peter Blickle, Andreas Lindt, Alfred Schindler (Hg.), Zwingli und Europa. Referate und Protokoll des In­ternationalen Kongresses aus Anlaß des 500.Geburtstages von Huldrych Zwingli vom 26. bis 30. März 1984, Zürich 1985, S. 47-69, hier S. 47.

7 Rainer Wohlfeil, Reformation als 'frühbürgerliche Revolution'. Die deutsche Reformation in der Histo­riographie der DDR, in: Alexander Fischer / Günter Heydemann (Hg.), Geschichtswissenschaft in der DDR, Bd. 2: Vor- und Frühgeschichte bis Neueste Geschichte (Schriftenreihe der Gesellschaft für Deutschlandforschung, Bd. 25/II), Berlin 1990, S. 177-213, hier 213.

8 Zu den angeführten Historikern s. als erste Kurzinformation den Biographischen Anhang bei Schulze (Anm. 1), S. 313-331, zu Alfred Meusel auch die Beilage zur ZfG, Jg. 8 (1960), H. 7: Alfred Meusel zum Gedenken. Meusel wird die 'Vaterschaft' bei der Begriffsbildung 'frühbürgerliche Revo­lution', zugesprochen; diese beansprucht auch Günter Mühlpfordt, Historiker mit radikaldemokratischem Geschichtsverständnis, der 1958 die Universität Halle-Wittenberg verlassen mußte (zu Mühl­pfordt vgl. Der Tagesspiegel lt. Anm. 15).

9 Schreiben Hans Kallenbach an Ludwig Petry, 15. Mai 1956.

10 Schreiben Ludwig Petry an Hellmuth Rößler, 18. Mai 1956.

11 Ludwig Petry war dem von 1947 bis 1955 wirkenden 'Arbeitskreis christlicher Historiker' zugehörig; dazu s. Schulze ( Anm. 1), 266-280.

12 Formulierung Ludwig Petry in Konzept für Einladungsschreiben, abgefaßt nach seinem Gespräch mit Horst Bülter (s.u.), um den 29. Juli 1956.

13 Vgl. Schreiben Fritz Klein, Redaktion ZfG, an Ludwig Petry, 25. Mai 1956 .

14 Kallenbach (wie Anm. 9).

15 Fritz Klein wurde wenige Monate später aus politischen Gründen als Chefredakteur der ZfG abgesetzt - eine Maßregelung, die in keiner unmittelbaren Verbindung zu den Arnoldshainer Plänen stand, die jedoch im allgemeinen Sinne Zusammenhänge vermuten läßt. Zu Klein s. u.a. 'Der Tagessspiegel', Nr. 13688 vom 3. Oktober 1990, S. 19.

16 Schreiben Fritz Klein, Redaktion ZfG, an Ludwig Petry, 25. Mai 1956.

17 Schreiben Ludwig Petry an Fritz Klein, 30. Mai 1956.

18 Schreiben Horst Bülter, Redaktion ZfG, an Ludwig Petry, 20. Juni 1956.

19 Schreiben Ludwig Petry an Hermann Aubin, 29. Juli 1956; Schreiben Fritz Klein, Redaktion ZfG, an Ludwig Petry, 11. August 1956 .

20 s.u.

21 Schreiben Ludwig Petry an Horst Bülter, 13. August 1956.

22 Schreiben Ludwig Petry an Hans Kallenbach, 13. August 1956.

23 Schreiben Fritz Klein, Redaktion ZfG, an Ludwig Petry, 11. August 1956; Schreiben Horst Bülter, Re­daktion ZfG, an Ludwig Petry, 22. August 1956.

24 Schreiben Ludwig Petry an Hellmuth Rößler, 18. Mai 1956.

25 Schreiben Hans Kallenbach an Ludwig Petry, 25. Mai 1956; dto. 18. Juli 1956.

26 Schreiben Hellmuth Rößler an Ludwig Petry, 23. Mai 1956.

27 Schreiben Ludwig Petry an Günther Franz, 18. Mai 1956; Schreiben Günther Franz an Ludwig Petry, 19. Mai 1956.

28 Schreiben Ludwig Petry an Hans Kallenbach, 23. Mai 1956; Schreiben Hans Kallenbach an Ludwig Pe­try, 25. Mai 1956.

29 Schreiben Ludwig Petry an Lutz Hatzfeld, 12. Juli 1956.

30 Schreiben Ludwig Petry an Hermann Aubin, 29. Juli 1956.

31 wie Anm. 30.

32 Schreiben Hermann Aubin an Ludwig Petry, 2. August 1956.

33 s. Anm. 12.

34 Schreiben Walther Hubatsch an Ludwig Petry, 8. August 1956.

35 Schreiben Paul Kirn an Ludwig Petry, 3. August 1956.

36 Schreiben Richard Nürnberger an Ludwig Petry, 31. Juli 1956.

37 Schreiben Erich Hassinger an Ludwig Petry, 4. August 1956.

38 Schreiben Ernst Walter Zeeden an Ludwig Petry, 8. August 1956: Vorbereitung Historikertag als Schatzmeister des Verbandes usw.

39 Schreiben Ludwig Petry an Gerhard Ritter, 29. Juli 1956.

40 Schulze (Anm.1), passim.

41 Gerhard Ritter an Ludwig Petry, 6. August 1956.

42 Rom: Internationaler Historikerkongreß 1955; dazu vgl. Schulze (Anm.1), S. 182 u. 188 mit Anm. 17. - Bremen: Deutscher Historikertag 1953; dazu vgl. Schulze (Anm.1), S. 187 u. 189 mit Anm. 21. - Zur ZfG s. Schulze (Anm. 1), S. 189. - Besprechungen zu Alfred Meusel, Thomas Müntzer und seine Zeit. Mit einer Auswahl der Dokumente des großen deutschen Bauernkrieges, hg. von Heinz Kamnitzer, Berlin-Ost 1952, durch Max Steinmetz in ZfG, Jg. 1 (1953), S. 968-978, und durch Günther Franz, in HZ, Bd. 177 (1954), S. 543f. - Zu den Evang.Akademien s. Hans-Gernot Jung, Akademien, Kirchliche, in: Theologische Realen- zyklopädie, Bd. 2, Berlin-New York 1978, S. 138-143; zu Karl Barth Artikel von Eberhard Jüngel, ebd., Bd. 5, 1980, S. 251-268.

43 Schwabe ( Anm. 3), S. 116.

44 a.a.O. mit Verweis auf Brief Nr. 198, S. 511, Schreiben Gerhard Ritter an Richard Nürnberger, 13. April 1955.

45 ZfG, Jg. 8 (1960), H. 7, Beilage (S. 5).

46 Auskunft Fritz Klein gegenüber Günter Vogler, 13. März 1991. Klein und Bülter können keine konkre­ten Aussagen über die Gründe der damaligen Absage erteilen.

47 Vgl. dazu Rainer Wohlfeil, Das wissenschaftliche Lutherbild der Gegenwart in der Bundesrepublik Deutschland und in der Deutschen Demokratischen Republik. Ein Vergleich, Hannover 1982, bes. S. 25f.

48 Vgl. den Hinweis bei Hans Joachim Berbig, Thomas Müntzer aus marxistischer Sicht, in: Alexander Fi­scher / Günther Heydemann (Hg.), Geschichtswissenschaft in der DDR, Bd. 2: Vor- und Frühgeschichte bis Neueste Geschichte, Berlin 1990 (Schriftenreihe der Gesellschaft für Deutschlandforschung Bd. 25/II), S. 237.

49 Max Steinmetz, Das Müntzerbild von Martin Luther bis Friedrich Engels, Berlin/DDR 1971 (Leipziger Übersetzungen und Abhandlungen zum Mittelalter, Reihe B, Bd. 4)

50 Daten in: Siegfried Hoyer (Hg.), Reform, Reformation, Revolution, Leipzig 1980 (Ausgewählte Bei­träge einer wissenschaftlichen Konferenz in Leipzig am 10. und 11. Oktober 1977), S. 281

51 s.Anm. 42.

52 Max Steinmetz, Die frühbürgerliche Revolution in Deutschland (1476-1535). Thesen zur Vorbereitung der wissenschaftlichen Konferenz in Wernigerode vom 20. bis 24. Januar 1960, in: ZfG 1960, S. 113-124, und ders., Die frühbürgerliche Revolution in Deutschland (1476-1535). Thesen, in: Die frühbürgerliche Revolution in Deutschland. Referat und Diskussion zum Thema Probleme der frühbürgerlichen Revolu­tion in Deutschland 1476-1535, Berlin/DDR 1961 (Tagung der Sektion Mediävistik der deutschen Histori­ker-Gesellschaft vom 21.-23. 1 .1960 in Wernigerode, Bd 2, hg. von Ernst Werner und Max Steinmetz), S. 7-16.

53 Max Steinmetz, Einleitung. Reformation und Bauernkrieg - die deutsche frühbürgerliche Revolution, in: Die frühbürgerliche Revolution in Deutschland, hg. von Max Steinmetz (Studienbibliothek DDR-Wissen­schaft. Forschungswege-Bilanz-Aufgaben, Bd. 5), Berlin/DDR 1985, S. 16-21. Dazu Besprechung Rainer Wohlfeil, in: HZ, Bd. 244 (1987), S. 428f. Siehe auch o. Anm. 8 zu Meusel.

54 Max Steinmetz, Reformation, Bauernkrieg, Müntzer, in: Werner Berthold u.a. (Hg.), Kritik der bürgerli­chen Geschichtsschreibung. Handbuch, 4. neu bearbeitete und erweiterte Auflage, Köln 1977, S. 224.

55 Vgl. Herausgeberkollektiv, Einführung in das Studium der Geschichte, 3. völlig neu bearbeitete Auflage Berlin/DDR 1979. Dazu für einen weiteren Leserkreis Harm Klueting, Parteilichkeit war wichtiger als Objektivität. Die marxistisch-leninistische Geschichtswissenschaft der DDR, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 106 vom 8. Mai 1990, S. 13f.

56 Siegfried Hoyer, Reformation oder frühbürgerliche Revolution? Die Begegnung Rainer Wohlfeils mit den Leipziger Kollegen, Vortrag am 6. April 1990 in der Universität Hamburg anläßlich der Emeritierung Wohlfeil , hier MS Blatt 5. Für die freundliche Überlassung seines Manuskripts danke ich Siegfried Hoyer nachdrücklich.

57 Siegfried Hoyer, Die deutsche frühbürgerliche Revolution 1517-1525/26, in: Manfred Kossok (Hg.), Revolutionen der Neuzeit 1500-1917, Vaduz 1982, S. 19-34. Auf weitere Arbeiten verweist Steinmetz, Frühbürgerli­che Revolution (Anm. 53), S. 11. - Die letzte Umsetzung des Erklärungsmodells in eine um­fassendere Darstellung enthält Band 3 der Deutschen Geschichte in zwölf Bänden, hg. vom Zentralinstitut für Ge­schichte der Akademie der Wissenschaften der DDR, Berlin/DDR 1983 bzw. Lizenzausgabe Köln 1983: Die Epoche des Übergangs vom Feudalismus zum Kapitalismus von den siebziger Jahren des 15. Jahrhun­derts bis 1789, verfaßt von dem Autorenkollektiv Adolf Laube und Günter Vogler (Leiter), Ger­hard Brendler, Gerhard Heitz, Herbert Langer, Hannelore Lehmann, Ingrid Mittenzwei, hier vor allem S. 96-188 von Gerhard Brendler: Reformation und Bauernkrieg - die frühbürgerliche Revolution (1517 bis 1525/26).

58 Zu diesen 'Meinungsverschiedenheiten' gehörten die Diskussion, die unter sowjetischen Historikern zwischen 1956 und 1958 geführt worden ist (vgl. Wohlfeil, Reformation = Anm. 65, S. 16), die Kontro­verse mit tschechischen Historikern und innerhalb der DDR-Geschichtswissenschaft über das Verhältnis von Hussitenbewegung und frühbürgerlicher Revolution in Deutschland hinsichtlich ihrer Qualität als er­ster bürgerlicher Revolution (vgl. Bernhard Töpfer, Fragen der hussitischen revolutionären Bewegung, in: ZfG, Jg. 16, 1963, S. 773-779; dazu Wohlfeil, a.a.O.) oder der Sachverhalt, daß sowjetische Historiker auf eine Diskussion der These nicht weiter eingehen wollten, weil es sich hierbei um ein 'innerdeutsches' Pro­blem handle, das für sie keine Relevanz besitze. Zur Bewertung der wissenschaftlichen Verbindung mit den osteuropäischen Ländern s.o. Anm. 2.

59 Alex Wittendorff, Historisch-materialistische Auffassungen von Luther und der Reformation, in: Luther und die Reformation, hg. von Bjorn Ekmann - Borge Kristiansen, Kopenhagen-München 1982 (Kopenhagener Kolloquien zur deutschen Literatur, Bd. 5 = Text & Kontext Sonderreihe, Bd. 13), S. 60-75.

60 Rainer Wohlfeil, Einführung in die Geschichte der deutschen Reformation, München 1982, S. 174f.; dazu Wiederabdruck in Wohlfeil (Anm. 7), 182f. mit S. 207.

61 Karl Erich Born, Besprechung des Wernigeroder Tagungsbandes (Anm. 52) in HZ, Bd. 196 (1963), S. 754f.

62 Steinmetz, Einleitung (Anm. 53), S. 10. Bereits 1965 hatte Steinmetz formuliert, "der Terminus 'früh­bürgerliche Revolution ' ist nicht nur erläuternde Redeweise, keine bloße Andeutung oder Metapher, son­dern eine wissenschaftlich exakte Bezeichnung für die unentwickelte frühe Form der bürgerlichen Revolu­tion in Europa", in: Max Steinmetz, Über den Charakter der Reformation und des Bauernkrieges in Deutschland, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Karl-Marx-Universität Leipzig, Jg. 14 (1965), Gesell­schafts- und Sprachwissenschaftliche Reihe, H. 3, S. 389-396, abgedruckt bei Wohlfeil (Anm. 65), S. 157.

63 Thomas Nipperdey, Die Reformation als Problem der marxistischen Geschichtswissenschaft, in: Diet­rich Geyer (Hg.), Wissenschaft in kommunistischen Ländern, Tübingen 1967, S. 228-258; neu abge­druckt und mit einem 'Zusatz 1974' versehen in: ders., Reformation, Revolution, Utopie. Studien zum 16. Jahr­hundert, Göttingen 1975 (Kleine Vandenhoeck-Reihe 1408), S. 9-37; Wiederabdruck in: Fischer, Ge­schichtswissenschaft DDR (Anm. 7), S. 151-176. Zur nachfolgenden Auseinandersetzung mit der These durch Autoren wie Otthein Rammstedt und Karl Dienst s. Wohlfeil, Reformation (Anm. 65), S. 18ff.

64 Rainer Wohlfeil, Reformation als Frühbürgerliche Revolution. Vortrag am 15. März 1971, in: Fritz Reuter (Hg.), 1521 Luther in Worms 1971. Ansprachen, Vorträge, Predigten und Berichte zum 450-Jahr­gedenken, Worms 1973, S. 44-59, hier 54: " Der Zustand, daß Veröffentlichungen marxistisch-leninistischer Historiker der DDR einfach übergangen oder mit kurzen belehrenden Sätzen abgewiesen wurden, sollte jedoch überwunden werden. Es geht nicht mehr an, daß in der DDR Arbeiten nichtmarxistischer Histori­ker aufmerksam studiert und besprochen, in der Bundesrepublik aber Publikationen aus der DDR von der Fachwissenschaft kaum angezeigt, geschweige denn rezensiert werden."

65 Rainer Wohlfeil (Hg.), Reformation oder frühbürgerliche Revolution?, München 1972 (ntw. nymphen­burger texte zur wissenschaft. modelluniversität 5), hier Einleitung, S. 7-41.

66 Wohlfeil, Bauernkrieg 1524-26 (Anm. 4), S. 7-50.

67 Schreiben Rainer Wohlfeil an Max Steinmetz, 8. Mai 1973; Schreiben Max Steinmetz an Rainer Wohl­feil, 30. Mai 1973.

68 Hoyer, Vortrag 1990 (Anm. 56), MS Blatt 1.

69 Vgl. Wohlfeil, Vortrag Worms (Anm. 64), S. 54f.

70 Außer Steinmetz beteiligten sich an ihm vor allem Siegfried Hoyer, Adolf Laube und Günter Vogler.

71 Hoyer, Vortrag 1990 (Anm. 56), MS Blatt 3.

72 Max Steinmetz u.a. (Hg.), Der deutsche Bauernkrieg und Thomas Müntzer, Leipzig 1976 (Ausgewählte Beiträge der wissenschaftlichen Konferenz 'Der deutsche Bauernkrieg - seine Stellung in der deutschen und europäischen Geschichte. Probleme-Wirkungen-Verpflichtungen'. Karl-Marx-Universität Leipzig, 3. bis 7. Februar 1975).

73 Peter Blickle (Hg.), Revolte und Revolution in Europa. Referate und Protokolle des Internationalen Symposiums zur Erinnerung an den Bauernkrieg 1525 (Memmingen, 24.-27. März 1975), München 1975 (Historische Zeitschrift, Beiheft 4 - Neue Folge).

74 Fridolin Dörrer (Hg.), Die Bauernkriege und Michael Gaismair. Protokoll des internationalen Symposi­ons vom 15. bis 19. November 1976 in Innsbruck-Vill, Innsbruck 1982 (Veröffentlichungen des Tiroler Landesarchivs, Bd. 2).

75 Siegfried Hoyer (Hg.), Reform, Reformation, Revolution, Leipzig 1980 (Ausgewählte Beiträge einer wis­senschaftlichen Konferenz in Leipzig am 10. und 11. Oktober 1977).

76 Hoyer, Vortrag 1990 (Anm. 56), MS Blatt 10: " Das Bauernkriegsgedenken 1975 hatte für den Bereich der frühneuzeitlichen Geschichte einen Durchbruch in den deutsch-deutschen Beziehungen, das Vorstellen der eigenen Position beim Partner, ein gegenseitiges Kennenlernen und einen intensiven wissenschaftlichen Meinungsaustausch gebracht." Aus der Sicht von Steinmetz, Frühbürgerliche Revolution (Anm. 53), S. 27, war es mit den Tagungen "schließlich gelungen, mit Vertretern der nichtmarxistischen Reformations- und Bauernkriegsforschung unmittelbar ins Gespräch - d.h. ins Streitgespräch - zu kommen".

77 Schreiben Günter Vogler an Rainer Wohlfeil, 17. April 1991.

78 Hoyer, Vortrag 1990 (Anm. 56), MS Blatt 10.

79 Schreiben Rainer Wohlfeil an Max Steinmetz, 8. Mai 1973; Schreiben Max Steinmetz an Rainer Wohl­feil, 30. Mai 1973. Schreiben Rainer Wohlfeil an Max Steinmetz, 7. November 1975. Vgl. auch Hoyer, Vortrag 1990 (Anm. 56), MS Blatt 11, zu meinem damaligen Vorschlag, jüngere Wissenschaftler ebenfalls in die Kontakte einzubeziehen.

80 Diese Aussage gilt zumindest für Max Steinmetz, Reformation, Bauernkrieg, Müntzer, in: Unbewältigte Vergangenheit. Kritik der bürgerlichen Geschichtsschreibung in der BRD, 3. neu bearbeitete Auflage Berlin/DDR 1977 bzw. Lizenzausgabe: Kritik der bürgerlichen Geschichtsschreibung. Handbuch, hg. von Werner Berthold u.a., 4., neu bearbeitete und erweiterte Auflage Köln 1977, S. 224-237.

81 Schreiben Max Steinmetz an Rainer Wohlfeil, 30. Mai 1973. Mit fast gleichlautender Begründung lehnte bereits 1972 Walter Markow die Einladung zu einem Gastvortrag ab (Protokolle Institutsrat Historisches Seminar Hamburg II/2, 3. Mai 1972, S. 7; Sondersitzung II/1, 11. Juni 1972, S. 1); dazu s. Protokoll II/4, 5. Juli 1972, S. 6: "... Der Institutsrat weist auf die Notwendigkeit intensiver wissenschaftlicher Kontakte auch mit der Forschung der DDR zum gegenseitigen Vorteil hin. Er fordert den Akademischen Senat auf, sich mit die­ser Forderung an die Öffentlichkeit sowie die zuständigen akademischen und politischen Stellen beider deutscher Staaten zu wenden."

82 Universität Hamburg, Historisches Seminar, 2. Mai 1973 zum Thema "Die Reflexion der Streikbewe­gung im Jahr vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges im halboffiziellen Regierungsorgan und im zentra­len Organ der Arbeiterbewegung verschiedener Länder" (Protokoll II/21. (56.) Sitzung FBR, S. 8).

83 Martin Luther - geschichtliche Stellung und historisches Erbe, Oktober 1983. Dazu s. Horst Bartel (+), Gerhard Brendler u.a. (Hg.), Martin Luther. Leistung und Erbe, Berlin/DDR 1986. - Thomas Müntzer - Geschichte und Wirkung. 29. August bis 1. September 1989. Ein Tagungsband zum Müntzer-Kolloquium ist nicht mehr erschienen. Daß beide Gedenkjahre eine Flut von marxistisch orientierten Veröffentlichun­gen hervorgerufen haben, die geschichtswissenschaftlichen Wert behalten werden - verwiesen sei nur auf die Luther-Biographie von Gerhard Brendler sowie die Müntzer-Darstellungen von Günter Vogler und Gerhard Brendler - läßt sich hier nur anführen.

84 Ein Ausdruck dieser Vertrauensbildung war die Beteiligung der DDR-Historiker Helmut Bräuer, Karl Czok, Siegfried Hoyer, Adolf Laube, Max Steinmetz und Günter Vogler mit Beiträgen, verfaßt um 1986/87, zu Rainer Postel / Franklin Kopitzsch (Hg.), Reformation und Revolution. Beiträge zum politi­schen Wandel und den sozialen Kräften am Beginn der Neuzeit. Festschrift für Rainer Wohlfeil zum 60. Geburtstag, Stuttgart 1989.

85 Hoyer, Vortrag 1990 (Anm. 56), MS Blatt 12. Hier spricht er davon, daß in Wohlfeil, Einführung (Anm. 60) die These noch einmal aufgegriffen und das Für und Wider auf den neuestens Stand gebracht" worden sei. Generell läßt sich dieser Aussage beipflichten, jedoch dürfen nachfolgende Diskussionsbeiträge, wie beispiels­weise Vogler (Anm. 6) und Wohlfeil im 'Nachtrag 1986' (Anm. 7), nicht ganz übersehen werden.

86 Vgl. z.B. die 'Thesen über Thomas Müntzer. Zum 500. Geburtstag', ausgearbeitet von einer interdiszi­plinären Arbeitsgruppe der Akademie der Wissenschaften und des Hochschulwesens der DDR unter Lei­tung von Adolf Laube, Berlin/DDR 1988, hier S. 12, These II; abgedruckt auch in in: ZfG, Jg. 36 (1988), S. 99-121.

87 Vgl. z. B. Wolfgang Beutin, Der radikale Doktor Martin Luther. Ein Streit- und Lesebuch, Köln 1982 (Kleine Bibliothek 271). - Norbert Schneider, Alltagskultur der frühen Neuzeit im Spiegel der Druckgra­phik, in: Ernst Ullmann (Hg.), Von der Macht der Bilder. Beiträge des C.I.H.A.-Kolloquiums 'Kunst und Reformation', Leipzig 1983, S. 145-158.

88 Wohlfeil, Reformation (Anm. 7), bes. S. 185-195. Zentrale Texte enthalten die Sammelbände von Wohl­feil (Anm. 65) und Steinmetz (Anm. 53).

89 Wohlfeil, Reformation (Anm. 7), hier 'IV. Nachtrag 1986', S. 207-213.

90 Walter Schmidt, Bemerkungen zum revolutionären und reformerischen Weg bürgerlicher Umwälzung und zur Frage von Revolutionen "im Feudalismus für den Feudalismus", Korreferat in: Manfred Kossok, 1789 und die neuen Alternativen gesellschaftlicher Transformation, Berlin/DDR 1989 (Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften der DDR. Gesellschaftswissenschaften, Jg. 1989, Nr. 9 G), hier bes. S. 40ff.

91 Steinmetz, Frühbürgerliche Revolution (Anm. 53), S. 27. Dieser Darstellung entsprach, daß der Band mit einer 'Auswahlbibliographie' abgeschlossen wurde, unter deren angeführten etwa 470 Veröffentlichun­gen sich kein Titel eines Historikers außerhalb der DDR findet, und zwar auch dann nicht, wenn er in Publikationen der DDR-Geschichtswissenschaft eingebracht worden war.

92 So schon Steinmetz, Reformation, Bauernkrieg, Müntzer (Anm. 54), S. 236.

93 Brendler/Meyer, Sozialgeschichtliche Konzeptionen (Anm. 103), S. 1099.

94 So Hoyer, Vortrag 1990 (Anm. 56), MS Blatt 6.

95 Vgl. Wohlfeil, Einführung (Anm. 60), S. 194-197; ders. Reformation als "frühbürgerliche Revolution" (Anm. 7), S. 201-205.

96 Vgl. u. a. Wohlfeil, ebd., S. 188-199 bzw. S. 195-213, aber auch Vogler, Reformation (Anm. 6), pas­sim.

97 Elkar, Geschichtsforschung (Anm. 4), S. 219.

98 Hoyer, Vortrag 1990 (Anm. 56), MS Blatt 7.

99 Steinmetz, Frühbürgerliche Revolution (Anm. 53), S. 27.

100 Formulierung Marx in: ders., Politische Schriften. Bd. 1, hg. von Hans-Joachim Lieber, Darmstadt 1960 (Karl-Marx-Ausgabe. Werke-Schriften-Briefe Bd. III/1), S. 216. Verweise auf weitere einschlägige Stellen des Revolutionsbegriffes von Marx in: Hans-Joachim Lieber und Gerd Helmer (Hg.), Marx-Lexikon. Zentrale Begriffe der politischen Philosophie von Karl Marx, Darmstadt 1988, S. 598-621.

101 Steinmetz, Reformation, Bauernkrieg, Müntzer (Anm. 54), S. 230f. Sogar in Fallstudien wurde ein Ver­such gesehen, als Antwort auf die marxistischen Fragestellungen eine echte Gegenposition aufzubauen; so Max Steinmetz, Positionen der Forschung. Kritische Bemerkungen zur Bauernkriegsforschung in der Bun­desrepublik Deutschland, in: Blickle (Hg.), Revolte (Anm. 73), S. 125.

102 Wohlfeil, Bauernkrieg (Anm. 4), Einleitung, S. 21f.

103 Vgl. Gerhard Brendler / Manfred Meyer, Sozialgeschichtliche Konzeptionen in der Bauernkriegsfor­schung der BRD, in: ZfG, Jg. 26 (1978), S. 1100: "So besteht die Taktik der Auseinandersetzung mit der DDR-Forschung vor allem darin, die marxistische Konzeption von der frühbürgerlichen Revolution als eine, wie unterstellt wird, ideologisch belastete Hypothese ohne ausreichende empirische Basis mit Vor­läufigkeitscharakter in der Diskussion im Sinne eines Methodenpluralismus zwar gelten zu lassen, grund­sätzlich aber den historischen Materialismus als der Grundlage anzugreifen."

104 Dieses war die Zielrichtung bei Brendler / Meyer, Sozialgeschichtliche Konzeptionen (Anm. 103), S. 1099-1108.

105 Hoyer, Vortrag 1990 (Anm. 56), MS Blatt 9.

106 Steinmetz, Reformation, Bauernkrieg, Müntzer (Anm. 54), S. 237.

107 Hoyer, Vortrag 1990 (Anm. 56), MS Blatt 17: "Vor fünfzehn Jahren hatte das beiderseitige Interesse am besseren Kennenlernen, die Absicht, Konfrontation durch Dialog abzulösen, zwischen unseren Institu­ten und Wissenschaftsbereichen einen Anfang gesetzt. Das war in den Jahren danach zunehmend vertieft worden, in der klaren Einsicht, daß die beiderseitigen Grundpositionen diametral gegenüber standen. Doch: 'Wandel durch Annäherung'. - Der Bezugspunkt des Historikers ist die Quelle, nicht die weltan­schauliche, religiöse oder ideologische Grundposition. Wer in der täglichen Arbeit, in der Auseinanderset­zung mit der historischen Überlieferung seine Position nicht belegen kann, muß sie in Frage stellen."